Woher kommt dein technisches Interesse? Hast du ein Vorbild gehabt?
Ich hab in meiner Kindheit leider kein Vorbild gehabt, weil es in meinem Umfeld keine Frauen gegeben hat, die in einem technischen Bereich gearbeitet haben. Mein Umfeld hat also auch gar keine Vorstellung davon gehabt, was ich erreichen wollte.
Aber ich hab mich immer schon dafür interessiert, mit Werkzeugen zu arbeiten, und ich hab ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. In Österreich hab ich dann Organisationen gefunden, die Frauen und Mädchen dabei helfen, ihre Stärken und Fähigkeiten zu entdecken. Dadurch bin ich mir immer sicherer geworden, dass es einen Platz für mich in der Technik gibt.
Wie haben deine ersten Schritte in die Technik ausgesehen?
Ich bin zum Verein Das Kollektiv in Linz gegangen. Die Berater:innen dort haben mir geholfen, eine Ausbildung zu finden, und ich hab mit einer Lehre als Tischlereitechnikerin beim VFQ (Anm.: Verein für Frauen und Qualifikation) mit dem Schwerpunkt Planung angefangen.
Später wollte ich in die Konstruktion wechseln, und ich hab mich bei vielen Unternehmen beworben, aber zuerst Absagen erhalten. Bei ELIN hat es schließlich dann gepasst, wir sind jetzt wie eine große Familie.
Was sind deine Tätigkeiten bei ELIN?
Ich arbeite mit den Software-Programmen AutoCAD und Revit und erstelle Elektro- und Schaltpläne. Außerdem beschäftige ich mich damit, die Mengen diverser Materialien zu ermitteln und zu dokumentieren, um die Kosten abschätzen zu können. Zuerst war die Lernkurve steil, aber meine Kolleg:innen haben mir immer gesagt: „Wenn du Fragen hast, kannst du jederzeit kommen. Es gibt bei uns keine blöden Fragen.“
Welche Eigenschaften, welche Fähigkeiten sollte man mitbringen?
Genauigkeit und Kommunikationsfähigkeit sind sehr wichtig, aber auch ein räumliches Vorstellungsvermögen und Mathematikkenntnisse. Und dass man an sich selbst glaubt. Ich weiß, man denkt, dass es schwierig ist, aber man muss einfach ins kalte Wasser springen.
Für mich war es am Anfang auch schwierig, weil ich nicht so viele technische Begriffe gekannt hab und mein Deutsch nicht so gut war, aber ich lern täglich dazu.
was gefällt dir an deiner Tätigkeit bei ELIN am meisten?
Wir haben viele große Projekte mit anderen Unternehmen. Zum Beispiel mit BMW, der Allianz Arena und dem Augustinerhof in Deutschland. Zurzeit arbeite ich beim Projekt FÜRstenried West in München mit.
Und was waren oder sind für dich auch mal Herausforderungen?
Als Mutter ist es schon manchmal schwierig. Auf der einen Seite muss ich mich um meine Kinder kümmern, und auf der anderen Seite um mich. Aber die Zeit in der Arbeit ist eigentlich Zeit für mich selbst. Ich arbeite, lerne und habe eine gute Beziehung zu meinen Kolleg:innen.
Das heißt, du nimmst die Arbeit gar nicht so sehr als Arbeit wahr?
Genau. Ich glaube, das schafft man, wenn man seinen Job mit Herz macht.
Wie ist es dann dazu gekommen, dass du dich für den Role Model-Award beworben hast?
Unsere Lehrlingsbeauftragte, Margit Fink, hat 2023 schon die Info ausgeschickt, dass man sich als Role Model bewerben und durch die eigenen Erfahrungen andere motivieren kann, in der technischen Branche Fuß zu fassen. Ich hab mich beworben, aber in dem Jahr hat Hüzüme Erkaptan gewonnen – wobei ich jede Teilnehmerin als Role Model gesehen hab, weil jede den Mut gehabt hat mitzumachen. Und ich hab in dieser Phase auch so viel positives Feedback erhalten, dass ich entschieden hab, dass ich es gerne ein zweites Mal probieren möchte.
Das Video hab ich selbst geschnitten, aber meine Kolleg:innen haben mich dabei unterstützt. Genauso wie beim Online-Voting. ELIN hat mir die Möglichkeit gegeben, im Intranet alle zum Voten aufzurufen, und ich hab Flyer mit einem QR-Code ausgedruckt. Und auch auf Instagram war ich aktiv.
Die Unterstützung und das Interesse waren so groß, und ich hab so viele Nachrichten erhalten mit Fragen wie „Denkst du, dass ich das auch schaffe?“ Also ich glaube, dass es nicht nur ein Wettbewerb ist, sondern dass der Award einen großen Effekt hat.
Wie hast du reagiert, als du erfahren hast, dass du das Role Model 2024 bist?
Das bleibt immer in meiner Erinnerung. Als mir Frau Schönauer (Anm: Projektassistentin LET’S TECH) gesagt hat, dass ich das Role Model bin, hab ich die richtigen Worte dafür gar nicht finden können. Nach diesem Telefonat hab ich allen meinen Kolleg:innen die gute Nachricht weitergegeben, und aus Freude hab ich geweint.
Was, denkst du, macht dich zum Role Model?
Ich bin nicht perfekt, ich hab auch viele Schwächen. Und obwohl ich ein schwieriges Leben hinter mir hab – eine Flucht, eine Zwangsheirat, Momente, in denen ich allein war – hab ich durchgehalten, immer ein Ziel vor Augen gehabt und daran geglaubt, dass ich es irgendwann schaffe.
Gibt es etwas, das du für die Zukunft geplant hast oder das du noch erreichen möchtest?
Ich hab viel geplant, aber ich möchte das Schritt für Schritt angehen. Gerade bin ich dabei, die Matura zu absolvieren, dafür besuch ich jeden Freitag Kurse, und danach möchte ich ein Ingenieur-Studium anfangen und Projektleiterin werden. Außerdem mal ich sehr gern und möchte eines Tages meine eigene Galerie eröffnen.
Wie ist das mit deiner Lehrabschlussprüfung? Im Video hast du ja gesagt, dass du kurz davorstehst, diese abzuschließen?
Die hab ich im Juni. Ich bin gespannt, aber ich hab deswegen keinen Stress, weil ich weiß, dass das klappen wird. Es wird nicht leicht, aber ich werd es schaffen.
Was machst du neben der Arbeit gerne?
Mir gefällt es, mit meinen Kindern, meiner Familie Zeit zu verbringen und in die Natur zu gehen. Und Kunst hat mein Leben eben sehr beeinflusst. Es gibt einen tollen Spruch von Pablo Picasso, der lautet: „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.“
Gibt es noch etwas, das du Mädchen oder Frauen mitgeben möchtest, die unsicher sind, ob sie in die Technik gehen wollen?
Was ich empfehlen kann, ist schnuppern zu gehen. Ein gutes Programm ist zum Beispiel der Girls‘ Day, an dem Mädchen Betriebe, Universitäten, Fachhochschulen und Berufsschulen besuchen können und einen Einblick in die MINT-Berufe (Anm.: MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik.) bekommen.
Und wenn jemand dir sagt, dass du etwas nicht schaffst, und du das aber erreichen möchtest, dann solltest du es selbst herausfinden. Lieber etwas riskieren, als ewig zu bereuen, sich nicht getraut zu haben. Und immer daran denken, dass man das schaffen kann. Es braucht Zeit, aber man schafft es.
Das sind schöne Abschlussworte. Danke dir fürs Interview, Shahnaz!
Wenn du noch mehr Einblicke in technische Berufe erhalten möchtest, dann schau doch mal bei einem unserer Girls! TECH UP-Erlebnistage vorbei! Wir sind nächstes Jahr wieder in Wien und Graz und zum ersten Mal auch in Kufstein.