Waagentechnikerin – das ist kein alltäglicher Beruf. War dir immer klar, dass du in diese Richtung gehen wirst?
Nein, eigentlich gar nicht. Natürlich war es für mich naheliegender als für andere, da meine Familie schon seit 1930 mit dem großen Bereichsfeld der Wägetechnik auseinandersetzt – der Geschäftsführer ist mein Papa. Aber ich habe immer geglaubt, ich würde später in einem Büro sitzen, so von sechs bis zwei, und dann heimgehen. Ich war ja auch auf keiner technischen Schule, sondern habe die HLW-Matura gemacht. Dort musste ich aber zwischen der dritten und vierten Klasse ein 12-wöchiges Praktikum machen. Und damit hat alles angefangen.
Zuerst wollte ich es mir einfach leicht machen und dachte mir, ich gehe neun Wochen zu Bizerba nach Wien – das ist die Firma, von der wir hauptsächlich die Waagen und Schneidemaschinen beziehen. Danach war ich noch 3 Wochen bei uns in der Firma, bei meinem Papa, und da habe ich gemerkt: Das ist es. Es war mir gleich klar. Nach den drei Wochen bin ich sofort zu meinem Papa hin und habe gesagt: Ich möchte das gern machen, ich könnte mir das für immer vorstellen. Da hat er sich schon sehr gefreut.
Kurz und knapp: Wie Nicoles Alltag als Waagentechnikerin nun aussieht, erzählt sie dir hier!
Von der HLW in die Technik – war der Umstieg schwierig?
Ich habe zuerst trotzdem noch die HLW fertig gemacht, weil ich sie schließlich schon angefangen hatte und es nur mehr um zwei Jahre ging. Außerdem dachte ich mir, dass mir das Wissen in Rechnungswesen später sicher helfen würde, wenn ich wirklich einmal als Geschäftsführerin tätig sein will. Nach der Matura habe ich mir dann zwei Jahre Zeit gegeben, um mich an die Firma zu gewöhnen. Es gab so viele verschiedene Dinge zu lernen, da wollte ich mich nicht gleich in eine neue Ausbildung stürzen. Nach diesen zwei Jahren in der Firma habe ich mich aber so sicher gefühlt, dass ich mir den Elektrotechnik-Lehrgang nebenher zugetraut habe – und damit habe ich in der HTL Kapfenberg angefangen.
Natürlich war am Anfang vieles neu, weil die Wägetechnik sehr speziell ist. Im Studium habe ich all die Grundlagen gelernt, die mir gefehlt haben – den Unterschied zwischen Wechselspannung und Gleichspannung zum Beispiel. Oder das Programmieren selbst: Wie programmiere ich eine Steuerung? Ich weiß jetzt, was die Waage im Inneren wirklich machen muss. Und es hat mich einfach so interessiert, das hätte ich mir nie gedacht! In der HLW dachte ich mir immer: durch ist durch (lacht). Jetzt habe ich in der vierten Klasse im ersten Semester fast nur Einser.
Das Lernen fällt mir so viel leichter, wahrscheinlich auch, weil der Praxisbezug da ist. Wenn ich etwa frage: Wo brauche ich einen Operationsverstärker? und dann konkrete Beispiele als Antwort bekomme, kann ich es viel besser verknüpfen. Irgendwann ergeben die ganzen Puzzleteile im Kopf Sinn, sodass du dir sagst: Ja klar. Das kann nur so funktionieren. Und das ist dann schon wirklich cool, wenn man diese Zusammenhänge versteht.
Das heißt, dass Elektrotechnik und IT in deinem Berufsalltag eine große Rolle spielen?
Auf jeden Fall – wie, das ist ganz unterschiedlich. Es kommt immer auf die Waage an. Es gibt Waagen zum Feinwiegen bis hin zum groben Wiegen, von medizinischen Waagen über Systemwaagen in der Gastronomie bis hin zu Industriegeräten, die in einer Anlage verbaut sind – und zum Beispiel das Etikettieren übernehmen. Wenn automatisch ein Etikett aufgeklebt wird, sind in den Geräten Elemente wie Netzteile und Kondensatoren verbaut. Dann natürlich auch CPUs – das heißt kleine Computer –, und eine Neuentwicklung sind mittlerweile die Touch-Displays.
Kunden, die mit den Systemwaagen etikettieren, bieten wir den Service, dass wir die Daten auf die Lebensmittelinformationsverordnung prüfen. Oft müssen auch mehrere Waagen über ein Netzwerk miteinander verbunden werden. Es spielt also nicht nur die Elektronik selbst eine Rolle, sondern in den letzten Jahren geht es immer mehr in Richtung Softwaresysteme. Da läuft zum Beispiel ein Warenwirtschaftssystem im Hintergrund, mit dem der Kunde über die Artikelverwaltung bis hin zu Berichten alles erledigen kann.
Übernehmt ihr auch das Programmieren selbst?
Ja. Wir machen vom Verkauf bis hin zum Kundendienst alles. Im Prinzip läuft es so ab: Ich fahre zum Kunden hin, höre mir an, was er gern hätte und überlege mir dann mit ihm gemeinsam ein Konzept, beziehungsweise schlage ich eine Lösung vor. Wenn das Konzept gekauft wird, stelle ich alles vor Ort auf. Entweder ich programmiere die Artikel dann mit dem Kunden gemeinsam oder ich schule ihn ein.
Die Kundenbetreuung läuft auch nach der Endabnahme weiter – wenn zum Beispiel Fehler auftreten oder etwas nicht mehr funktioniert: Es geht immer darum, Lösungen zu finden. Das macht meinen Beruf sehr interessant.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag für dich aus?
Ich kann mir meinen Tag komplett frei einteilen – diese Möglichkeit haben wir alle in der Firma. Wie schon erwähnt, bin ich im Verkauf und Kundendienst tätig, aber ich mache genauso das Marketing und übernehme – selten, aber doch – die Vertretung für die Buchhaltung.
In einer typischen Arbeitswoche haben wir montags alle gemeinsam eine Besprechung, in der wir die offenen Aufträge durchgehen. Mindestens drei Tage die Woche versuche ich dann, in den Außendienst zu gehen. Zurzeit ist das wegen der Corona-Situation natürlich schwierig, aber normalerweise fahre ich sehr viele Neukunden an. Diesen Kundenkontakt habe ich sehr gern.
Natürlich verbringe ich auch Zeit vor dem Computer, aber es ist kein klassischer Bürojob. Wenn ich ein paar Stunden vor dem Bildschirm gesessen bin und schon viereckige Augen habe, stehe ich auf, nehme zum Beispiel eine Schneidemaschine oder eine Waage und beschäftige mich mit der Reparatur. Ich mag die Abwechslung. Oft rufen mich auch Kunden an, wenn sie Probleme haben und ich löse sie mit ihnen gemeinsam – teilweise am Telefon, wenn ich die Probleme schon kenne, oder direkt vor Ort. Dann fahre ich zum Kunden hin, schaue mir die Systeme an, suche den Fehler und versuche, ihn zu beheben.
Wenn solche Probleme auftauchen, die du vor Ort lösen musst - wie gehst du da vor?
Je nach Fehler schaue ich mir an, ob es von der Hardware- oder von der Software-Seite kommt. Wenn etwa der Drucker nicht funktioniert, überprüfe ich, ob es Verunreinigungen gibt – also ob hardwaretechnisch zum Beispiel ein Zahnrad steckt. Es kann natürlich auch sein, dass softwareseitig nichts geschickt wird. Dann sucht man eben die Probleme: Woran liegt es? Habe ich keine Verbindung? Liegt es am Kabel? Oder habe ich im Netz irgendwelche Probleme? Gibt es einen IP-Adressen-Konflikt? Ihr seht schon, die Möglichkeiten sind ganz unterschiedlich.
Im Normalfall weiß ich durch die Erfahrung schon ungefähr, was es sein könnte. Aber im Prinzip ist es trotzdem jeden Tag etwas Neues. Natürlich gibt es immer wieder Dinge, wo ich selbst Unterstützung brauche – zum Beispiel vom Programmierer, oder von meinem Papa, mit dem ich viel zusammenarbeite. Wenn ein Problem auch gemeinsam nicht sofort gelöst werden kann, weil wir etwa Ersatzteile bestellen müssen, geben wir dem Kunden zuerst einmal ein Leihgerät, damit er schnellstmöglich weiterarbeiten kann. Das ist uns das Wichtigste – komplikationsfrei zu arbeiten. Und das ist es auch, was die Kunden bei uns so schätzen.
Gibt es etwas, das du verändern möchtest, wenn du irgendwann selbst Geschäftsführerin bist?
Im Grunde genommen ist das Konzept, das mein Papa für die Firma aufgebaut hat, sehr griffig. Natürlich gibt es auch Online-Shops, aber eigentlich mag ich genau das Gegenteil so gern: dass Kunden bei mir kaufen, weil sie wissen, sie können mit jemandem über das Produkt reden. Und zwar mit jemandem, der sich auskennt. Die KitchenAid-Produkte zum Beispiel, die wir vertreiben, benutzt mein Papa schon seit 1995 – gleich lang, wie ich auf der Welt bin. Das ist eine Erfahrung, die heutzutage immer seltener wird.
Langfristig wird es sicher in Richtung Industrie 4.0 gehen, weil es einfach nicht anders möglich ist. Aber ich möchte trotzdem immer nahe am Kunden sein. Ich möchte nicht irgendwann hinter dem Computer sitzen und die unbekannte Dame sein, die zurückschreibt. Ich möchte beim Kunden vor Ort sein und das Gesicht sein, das sie mit unseren Produkten verbinden. Das schafft Vertrauen. Und wie gesagt, für mich ist dieser Kundenkontakt einfach das Schönste.
Man sieht bei dir sehr deutlich, dass Technik und Menschennähe sich alles andere als ausschließen. Abgesehen davon, dass dieses Klischee offensichtlich nicht stimmt – was würdest du jungen Menschen mitgeben, die in die Technik wollen?
Einfach probieren. Auch wenn man zuerst etwas anderes gemacht hat. Ich weiß, 14 ist sehr früh, sich entscheiden zu müssen – ich bin ja selbst über Umwege in die Technik gekommen. Aber ich bereue meinen Weg nicht. Weil ich einfach glaube, dass jeder Weg, den man macht, für irgendetwas gut ist. Ohne die HLW hätte ich nie so ein gutes Verständnis für Rechnungswesen entwickelt, und so fällt es mir jetzt viel leichter, auch einmal die Buchhaltung zu übernehmen.
Klar hat es nach der HLW gedauert, bis ich angenommen wurde. Es war nicht so einfach. Als ich 19 war, bin ich aus einer Kochschule in die Technik gekommen. Aber umso mehr vertrauen mir die Kunden jetzt, weil sie wissen, dass ich es mir erarbeitet habe. Man muss einfach irgendwann anfangen. Allem eine Chance geben. Und selbst, wenn man nach einer Zeit draufkommen sollte, dass es doch nicht das Richtige für einen ist – dann ist genau gar nichts passiert. Außer, dass man etwas gelernt hat.
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